Bundesverteidigungsministerin Annegret-Kramp Karrenbauer schlägt eine international kontrollierte Pufferzone in Nordsyrien vor. Die Journalistin und Syrien-Expertin Kristin Helberg hält das für eine gute Idee, auch wenn die sehr spät kommt.
Der Abzug der US-Truppen aus dem Norden Syriens hat die Lage dort völlig verändert. Geflohene Kämpfer des sogenannten Islamischen Staats (IS) stellen wieder eine Bedrohung dar, der türkische Präsident Recep Erdogan sieht hingegen vor allem die kurdischen Kämpfer der YPG als Bedrohung, deshalb will die Türkei im Norden Syriens gerne eine Sicherheitszone einrichten.
Eine vereinbarte Waffenruhe im umkämpften Gebiet soll am Dienstag, den 22. Oktober 2019 enden. Gleichzeitig ist Erdogan zu Gesprächen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin nach Sotschie aufgebrochen. Auch US-Präsident Trump hat sich zu Wort gemeldet und bekannt gegeben, dass wohl eine kleine Anzahl von US-Soldaten in Syrien bleiben sollen.
Weitgehend zurückgehalten hatten sich in der Angelegenheit bislang die Staaten der Europäische Union. Am Montagabend, 21.10.2019, dann gab es ein Statement von CDU-Chefin und Bundesverteidigungsministerin Annegret-Kramp Karrenbauer. Im ZDF Heute Journal sprach sie von einer international kontrollierten Sicherheitszone im syrischen Grenzgebiet zur Türkei.
Neue Mission für Anti-IS-Allianz
Die Journalistin und Syrien-Expertin Kristin Helberg begrüßt diesen Vorschlag, der bereits seit Wochen von den Menschen gefordert wird, die diesen Konflikt intensiv beobachten. Denn nur eine international kontrollierte Sicherheitszone könne die beiden Seiten voneinander trennen und die jeweiligen Interessen wahren: zum einen das Interesse der Türkei, sich sicher zu fühlen, zum anderen den Wunsch der Kurden, nicht angegriffen und umgesiedelt zu werden.
"Das ist eine gute Idee, sie kommt nur sehr spät."
Dass die Staaten der Europäischen Union so lange gewartet haben bis sie diesen Vorschlag unterbreiten, hat damit zu tun, dass sie sich nicht wirklich einmischen wollten, sagt Kristin Helberg. Und das, obwohl sie dort militärisch durchaus präsent sind. Nämlich als Teil der Anti-IS-Koalition, die seit 2014 den IS bekämpft. Deutschland stellt für dieses Bündnis zum Beispiel Tornados zur Aufklärung zur Verfügung.
Im Prinzip, erklärt die Syrien-Expertin, müsse diese Mission nur etwas umdefiniert werden. Nämlich, nachdem der IS mehr oder weniger besiegt sei, heißt das Ziel, eine Zone im Norden zwischen der Türkei und dem Kurdengebiet zu schützen, um die Lage zu stabilisieren. Die Frage ist jetzt, wie sich Russlands Präsident Wladimir Putin zu dem Vorschlag verhält. Der gilt als großer Strippenzieher im Hintergrund. Denn er entscheidet, so Kristin Helberg, über das Schicksal Nordsyriens und auch die Nachkriegsordnung dort, da er sowohl militärisch als auch politisch und diplomatisch dort viel investiert hat, um Syriens Machthaber Assad zu halten. Damit hat Putin seinen Einfluss dort deutlich ausgebaut.
Durchaus Chancen für einen Kompromiss
Nach Einschätzung von Kristin Helberg wird Putin jetzt versuchen, einen Kompromiss zu finden. Dazu ist ein Vorschlag nötig, der es Erdogan ermöglicht, die Offensive gesichtswahrend abzubrechen, sagt die Syrien-Expertin. Denn Erdogan gehe es vor allem darum, die Schutzzone zu errichten um dort syrische Flüchtlinge ansiedeln zu können – aktuell leben 3,6 Millionen in der Türkei. Solange die Regimetruppen von Syriens Machthaber Assad dort stehen, wird das aber nicht möglich sein. Denn die Geflüchteten sind vor genau diesem Machthaber geflohen und haben Angst vor Assad.
Die Aufgabe ist es jetzt also, das Gebiet so aufzuteilen, dass sowohl Erdogans Interessen gewahrt sind als auch das Assad-Regime dort wieder Einzug halten kann. An letzterem hat auch Wladimir Putin großes Interesse, sagt Kristin Helberg. Denn das Problem des russischen Präsidenten ist, dass Russland zu wenig Geld hat, um eine besonders mächtige Mandatsmacht darzustellen.
An der Stelle kommt die Nato ins Spiel. Denn die soll künftig den Wiederaufbau in Syrien finanzieren und das Regime normalisieren. Putin braucht also die Westmächte, um agieren zu können. Und das könnte tatsächlich die Chancen erhöhen, eine international bewachte Pufferzone ins Gespräch zu bringen. Dadurch würden die europäischen Staaten auch wieder ein Mitspracherecht bekommen.
"Das könnte die Chance sein, mit einer solchen Pufferzone wieder ins Gespräch zu kommen und zu sagen: Deutschland, Großbritannien, Frankreich, kümmert ihr euch um die Pufferzone."
Ganz einfach wird das nicht werden. Denn Putin habe sich in der Vergangenheit alle Mühe gegeben, die Türkei der Nato zu entfremden und die Nato dadurch zu schwächen, sagt Kristin Helberg. Aber da alle Beteiligten bezüglich des Norden Syriens ein Interesse haben, könnte genau das eine Chance sein, darüber wieder ins Gespräch zu kommen.
"Die Europäer haben eben mehr Militärmacht, sie haben mehr Geld vor allem, um eine solche Pufferzone mit Beobachtern zu bestücken."
Im Prinzip habe in dieser Situation jeder eine Aufgabe. Und die Europäer hätten Geld und seien entsprechend militärisch präsent, wie etwa die Franzosen, die bereits Spezialtruppen im Nordosten Syriens haben, die sie einfach vor Ort belassen könnten.
Es sei ohnehin allerhöchste Zeit, dass sich Europa in dem Konflikt engagieren würde, sagt Kristin Helberg. Denn die Europäer seien – im Gegensatz zu den USA – direkt betroffen, zum Beispiel wenn es um die unkontrollierte Einreise von IS-Kämpfern geht. Oder auch, weil ohne Intervention wieder mehr Geflüchtete nach Europa kommen könnten. Deshalb rät die Syrien-Expertin, dass Annegret Kramp-Karrenbauer in Moskau ein möglichst konkretes Angebot vorlegt, damit tatsächlich eine international überwachten Zone in Nordsyrien errichtet werden kann statt eines türkischen Protektorats.