Protest ist ein Mittel, um auf politische Missstände und Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Aber ist es erlaubt, sich selbst auf einer Autobahn am Asphalt festzukleben? Und bringt es wirklich etwas? Der Konfliktforscher Felix Anderl sagt, manchmal erreichen Aktivist*innen mehr als sie denken.

Gesehen und gehört werden, aufrütteln, vielleicht sogar schockieren, zum Denken anregen und eine politische und gesellschaftliche Veränderung erwirken – hohe Ziele stecken sich diejenigen, die öffentlichkeitswirksam einen Wald oder eine Autobahn besetzen.

Aktivistinnen und Aktivisten kommen oft an einen Punkt, an dem sie sich fragen, welche Mittel sie einsetzen können und sollten, um mit ihrem Anliegen gehört zu werden und etwas zu erreichen. So ging es auch Carla Hinrichs, die Jura studiert und in der Gruppe "Aufstand der letzten Generation" gegen die Verschwendung von Essen und gegen die Klimapolitik protestiert.

"Wo kann man in Deutschland die größte Störung hervorrufen, wenn nicht auf deutschen Autobahnen."
Carla Hinrichs, Aktivistin gegen die Verschwendung von Essen
«Geklebt» steht auf dem Zettel einer Aktivistin der Gruppe «Aufstand der letzten Generation» auf der Stadtautobahn 100 (A100). Die Aktivisten der Kampagne «Essen Retten - Leben Retten» fordern ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und eine Agrarwende, um Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft zu senken
© picture alliance / dpa | Paul Zinken

Mit Sekundenkleber auf der Autobahn festgeklebt

Die Jurastudentin engagiert sich schon seit Längerem: Sie hat an Demos teilgenommen und Petitionen geschrieben, aber aus ihrer Sicht bisher ohne Erfolg. Deswegen glauben Carla und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter, dass sie nun zu drastischeren Mitteln greifen müssen, um tatsächlich etwas zu erreichen.

"Wir sind immer noch auf dem Weg in eine Katastrophe, deswegen sehe ich mich gezwungen, zu solchen Maßnahmen zu greifen, massiv zu stören, um die Regierung zum Handeln aufzufordern."
Carla Hinrichs, Aktivistin gegen den Klimawandel

Vor Kurzem hat die Gruppe die Berlinern Stadtautobahn A100 blockiert. Stehend und sitzend haben die Demonstrierenden den Autoverkehr lahmgelegt. Einige haben sich mit Sekundenkleber an der Fahrbahn festgeklebt.

Politikerinnen und Politiker reagieren auf Aktionen

Die Aktionen finden nicht nur in Berlin statt, sondern zum Beispiel auch bei Freiburg, bei Bayreuth oder in Hamburg. Und einige Politikerinnen und Politiker haben bereits reagiert. Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin in Berlin, der Landeschef von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann und Bundesjustizminister Marco Buschmann haben die Aktionen verurteilt. Nach Anstrengungen der Union gibt es sogar eine Aktuelle Stunde im Bundestag. Reaktionen, die von den Aktivistinnen und Aktivisten wahrscheinlich als Erfolg gewertet werden und sie in ihrem Tun möglicherweise bestärken.

Klimaschützer blockieren mit dem Slogan «Essen retten» die Abfahrt der Berliner Stadtautobahn A100 unweit des ICC.
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Wie man den Erfolg von Protesten messen kann, mit dieser Frage hat sich der Konfliktforscher Felix Anderl auseinandergesetzt. Bei Protesten zum Klimaschutz gehe es letztlich darum, politische Maßnahmen zu erwirken, die den Klimawandel bremsen.

Aber den Klimawandel zu stoppen, sei utopisch, sagt der Konfliktforscher. Deswegen lasse sich der Erfolg eher dadurch messen, dass die Gruppe und ihre Bewegung durch die Aufmerksamkeit in den Medien mehr Zulauf erhalte.

Felix Anderl vergleicht die aktuellen Autobahn-Blockaden mit den Protestaktionen im Hambacher Forst vor gut drei Jahren. Dort sei der Protest gescheitert: Die Baumhäuser der Aktivistinnen und Aktivisten wurden geräumt. Trotzdem hat die Aktion für großes Aufsehen und einen Rodungsstopp gesorgt. In diesem Sinne wiederum ein Erfolg.

"Was fast alle sagen ist: Wir haben den eigentlichen Kampf verloren. Also da wurde bereits größtenteils abgeholzt. Aber wir haben eine ganz neue Bewegungsform inspiriert. Und das ist schon beeindruckend."
Felix Anderl, Professor für Konfliktforschung an der Universität Marburg

Wie hoch darf der Preis für den Erfolg sein?

Ein gewisses Risiko bestehe bei Demonstrationen immer, sagt Felix Anderl. Die Frage sei, wie hoch das Risiko ist, dass Aktivistinnen in Kauf nehmen, damit ein Protest zum Erfolg führt. Vor allem, wenn es die Kosten für den politischen Gegner in die Höhe treibe, können man eine Aktion als erfolgreich werten.

Wenn drastisches Vorgehen zu einem Unfall oder dem Tod eines Demonstrierenden führe, dann habe das wiederum Konsequenzen für die Bewegung der Aktivisten – und dieser Schaden ließe sich vorab nur schwer abschätzen, sagt der Konfliktforscher Felix Anderl.

"Meistens haben Proteste Erfolg, wenn sie die Kosten für die Gegner in die Höhe treiben. Aber es gibt verschiedene Arten von Kosten."
Felix Anderl, Konfliktforscher
Aktivisten der Gruppe «Aufstand der letzten Generation» blockieren die Stadtautobahn 100 (A100) unweit der Beusselstraße. Die Aktivisten der Kampagne «Essen Retten - Leben Retten» fordern ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und eine Agrarwende, um Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft zu senken.
© picture alliance/dpa | Paul Zinken

Demonstrationen sind ein demokratisches Mittel, um die eigene Meinung kundzutun und können in unterschiedlichen Formen stattfinden: von Mahnwachen über Lichter- oder Menschenketten, Märsche und Fahrraddemos bis hinzu Blockaden.

Das Demonstrationsrecht ist in Artikel 8 des Grundgesetzes festgeschrieben. Versammlungen unter freiem Himmel müssen in Deutschland angemeldet, aber nicht genehmigt werden. Sie können jedoch mit Auflagen belegt werden oder auch verboten, falls sie die öffentliche Sicherheit gefährden könnten.

Shownotes
Protestformen
Wie sich Erfolg von Protesten messen lässt
vom 17. Februar 2022
Moderation: 
Sonja Meschkat
Autor: 
Martin Krinner, Deutschlandfunk Nova