Gerade in Deutschland ist der Begriff "Rasse" historisch schwer belastet. Doch ganz darauf zu verzichten, kann ungewollte Effekte haben. Ein Vortrag des Philosophen Daniel James.
Das englische Wort "race" wird im Deutschen mit "Rasse" übersetzt. Die Assoziationen, historische Bezüge und Verwendungen des englischen und des deutschen Begriffs unterscheiden sich aber erheblich. In Deutschland wird der Begriff "Rasse" bis heute an erster Stelle mit der Rassenideologie des Nationalsozialismus in Verbindung gebracht, erzählt Daniel James in seinem Vortrag
"Farbenblinder Eliminativismus" hat einen Preis
Daniel James ist Philosoph und forscht zum Thema "Rasse" und Rassismus. In Deutschland gibt es ein großes und berechtigtes Unbehagen, den Begriff "Rasse" zu verwenden. Oft führe das zu einer Einstellung, die James als "farbenblinden Eliminativismus" bezeichnet. Die Idee dahinter: Es gibt keine menschlichen Rassen, jeder Mensch sollte ausschließlich als Individuum betrachtet und behandelt werden. Jegliche Anwendung eines Begriffs von Rasse ist selbst schon rassistisch.
"Wenn wir einen Begriff wie den der 'Rasse' nicht zur Verfügung haben, müssen wir auf Ersatzkategorien zurückgreifen. Im deutschen Kontext ist das allen voran die des sogenannten Migrationshintergrunds."
Das klingt auf den ersten Blick überzeugend. Doch "farbenblinder Eliminativismus" habe einen Preis, argumentiert James in seinem Vortrag. Wenn wir auf jegliche Begriffe von Rasse verzichten, dann müssen wir Ersatzkategorien finden, um bestimmte Formen von Diskriminierung beschreiben zu können und um uns ihnen entgegenzustellen. Doch solche Ersatzkategorien können oft nicht das leisten, was sie tun sollten, sagt James.
"Die Kategorie 'Migrationshintergrund' verschleiert Diskriminierung, insbesondere von rassifizierten oder ethnifizierten Minderheiten, die dieser Definition nicht entsprechen."
"Migrationshintergrund", zum Beispiel. Die Standarddefinition dieses Begriffes lautet: Eine Person, die selbst oder von der mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht aufgrund von Geburt erworben hat. Diese Kategorie ist zugleich zu weit und zu eng, um rassistische Erfahrungen in Deutschland zu erfassen. Denn auch Menschen, deren Eltern und die selbst von Geburt an Deutsche sind, können Rassismus erfahren. Umgekehrt gibt es auch Menschen mit "Migrationshintergrund", die keiner Gruppe angehören, die rassistisch kategorisiert wird.
"Wenn 'Migrationshintergrund' nicht wirklich taugt, wir aber auch nicht 'Rasse' rehabilitieren wollen, was können wir tun? Ich schlage vor, dass wir ihn durch den Begriff einer 'rassifizierten Gruppe' ersetzen sollten."
Dadurch entsteht ein so genannter "racial data gap", eine Lücke in der Erfassung von Daten, die auf rassistischen Kategorisierungen beruhen. Das führt zum Beispiel dazu, erzählt James in seinem Vortrag, dass es sehr schwierig ist, überhaupt zu erforschen, ob in Deutschland während der Covid-19 Pandemie Ungleichbehandlung und erhöhte Sterblichkeit in irgendeinem Bezug zu Rassismus bestanden haben – eine Vermutung, die Daten in anderen Ländern nahelegen.
Daniel James argumentiert deshalb dafür, den Begriff "Rasse" trotz seiner Belastung nicht vollständig aufzugeben. Gerade in sozialwissenschaftlichen Kontexten schlägt er vor, von "rassifizierten Gruppen" zu sprechen.
Daniel James lehrt Philosophie an der Technischen Universität Dresden. Sein Vortrag hat den Titel "Warum wir über (das Wort) "Rasse" reden müssen". Er hat ihn am 9. Juli 2024 im Rahmen der Vorlesungsreihe "Sprachliche Ungerechtigkeiten in Gießen gehalten. Organisiert hat diese Reihe das Collegium Gissenum der Justus-Liebig-Universität Gießen.
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