Wie stark ist die deutsche Bevölkerung polarisiert? Das haben Forschende der TU Dresden untersucht. Der dabei entstandene Polarisierungsindex liefert überraschende Ergebnissen: Menschen, denen es relativ gut geht, seien demnach stärker polarisiert als andere.

Ein Forschungsteam des Mercator Forums Migration und Demokratie - kurz Midem - an der TU Dresden hat unter Leitung von Hans Vorländer untersucht, wie gespalten die Bevölkerung in Deutschland ist. Erstes überraschendes Ergebnis: Wir sind gar nicht so gespalten, wie wir das vielleicht manchmal wahrnehmen.

An den Rändern - extrem rechts und extrem links - gibt es einen starken Aktivismus, sagt Hans Vorländer. "Aber dazwischen gibt es ja noch die breite Mitte." Menschen, die stark polarisiert sind, würden nur 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

"Die deutsche Gesellschaft ist gar nicht so zerissen."
Hans Vorländer, Leiter der Midem-Polarisierungsstudie an der TU Dresden

Diese Polarisierung der Menschen haben die Forschenden mit einer Art Gefühlsthermometer gemessen. Im Rahmen der Studie haben sie nach Gefühlen der Teilnehmenden gefragt. Beispiele: Wie denken Sie über den Klimawandel? Wie sehen Sie die Zuwanderung von Migrant*innen? Danach wurden sie gefragt, welche Meinung sie zu denen haben, die in der gleichen Frage eine andere Meinung als sie selbst vertreten.

Polarisierungsindex

Diese Gefühle haben die Forschenden auf einer Skala abtragen. Daraus lasse sich dann ein Polarisierungswert oder Polarisieurngsindex ablesen. Diesen Index haben die Forschenden noch für neun weitere europäische Staaten ermittelt. Demnach sind die Befragten in Italien und Griechenland am stärksten polarisiert, in den Niederlanden und Tschechien am wenigsten.

Weiteres überraschendes Ergebnis der Studie sind: Unterschied zwischen Stadt und Land ist gar nicht so groß.

"Unsere Analysen haben gezeigt, dass der Unterschied zwischen Stadt und Land gar nicht so groß wie angenommen ist. Die großen Risse zwischen den Gruppen – die man vermutet – gibt es gar nicht."
Hans Vorländer, Leiter der Midem-Polarisierungsstudie an der TU Dresden

Eine weitere Überraschung: Diejenigen, "denen es eigentlich ganz gut geht und in der Stadt, in großen urbanen Regionen leben und eine gute Ausbildung sowie höheres Einkommen haben, sind sehr stark polarisiert", sagt Hans Vorländer.

Die Unterschiede sind zwischen Stadt und Land "statistisch nicht relevant", erklärt Hans Vorländer die Studienergebnisse.

Stärkste Polarisierungsthemen

Die Themen, die die Gesellschaft am stärksten polarisieren, sind Klimawandel und Zuwanderung. "Das sind mit Abstand die Themen, wo wir die stärksten affektiven Polarisierungswerte gemessen haben", sagt Hans Vorländer.

"Die Frage, ob zu viele Asylbewerber zu uns kommen und wie Verhalten wir uns in Fragen der Integration. Und auf der anderen Seite: Wie gehen wir mit dem Klimawandel um? Das sind Themen, die uns alle bewegen und bei denen wir hohe Polarisierungswerte haben."
Hans Vorländer, Leiter der Midem-Polarisierungsstudie an der TU Dresden

Die Studie legte auch offen, dass Anhänger der AFD, deren Parteitag am 28. Juli stattfindet, besonders stark polarisiert sind. Hans Vorländer erklärt, das könnte daran liegen, dass sich die AFD und ihre Anhänger*innen sehr stark von anderen politischen Strömungen abgrenzt und sehr konfrontativ seien. Das könne dazu führen, "dass die Menschen eben die Außenwelt, andere Parteien und Andersdenkende viel stärker ablehnen", sagt Hans Vorländer. Je sträker die Abgrenzung gegenüber anderen und deren Ablehnung, je stärker die Polarisierung.

Polarisierung eindämmen

Diese Polarisierung sei vor allem an den Rändern vorhanden. Deshalb rät der Wissenschaftler, die Zuspitzung in Diskussionen zurückzufahren. "Je mehr wir der Polarisierung sozusagen Zucker geben, desto schwieriger wird die Streitkultur und es wird viel schwieriger Politik zu machen, mit der wir Probleme wie den Klimawandel lösen können", sagt Hans Vorländer.

Shownotes
Polarisierung in Deutschland
Studie: Menschen, denen es gut geht, sind stärker polarisiert
vom 27. Juli 2023
Moderation: 
Jenni Gärtner
Hans Vorländer, Leiter der Midem-Polarisierungsstudie an der TU Dresden