In Brasilien bricht ein Staudamm, bei dem der Tüv Süd noch Monate vorher keine Mängel feststellen konnte. Mindestens 65 Menschen sterben in der Schlammlawine nach dem Dammbruch. Und es stellt sich die Frage: Wie aussagekräftig ist das TÜV-Siegel eigentlich?

Dass der Tüv Autos prüft, wissen wohl die meisten. Von Silikonimplantaten wissen wir das spätestens seit dem Skandal um den französischen Hersteller PIP. Der Tüv prüft aber noch viel, viel mehr: Neben Medizinprodukten und technischen Geräten werden auch Fahrgeschäfte wie Riesenräder oder Achterbahnen geprüft, oder Möbel und Wetterstationen für den Hausgebrauch, um nur eine paar Beispiele zu nennen.

Darunter waren in der Vergangenheit auch dubiose Neuerungen, wie zum Beispiel ein Stift, den man in den Tank werfen konnte, um Sprit zu sparen. Der Tüv hat das geprüft und sein Siegel draufgeklebt. Später hat sich allerdings herausgestellt: Der Stift bringt überhaupt nichts. Hat sich, dank Tüv-Siegel, aber gut verkauft.

"Am Ende hat sich rausgestellt, der Stift hat überhaupt nichts gebracht. Nichtsdestotrotz: Der Tüv hat geprüft, hat seinen Stempel draufgepackt und damit das Siegel vergeben."
Nicolas Lievel, Wirtschaftsredaktion des Deutschlandfunk

Wie sehr Verbraucher dem Tüv als Qualitätssiegel vertrauen, hat ein Test gezeigt. Ein und dasselbe Produkt wurde einmal mit und einmal ohne Tüv-Siegel präsentiert. 95 Prozent der Testpersonen haben sich für das Produkt mit Tüv-Siegel entschieden. 

Überprüfung entspricht nicht den Erwartungen

Gerade die Skandale und auch das Unglück in Brasilien lassen aber Fragen aufkommen, wie genau der Tüv eigentlich prüft. Denn die Erwartung an so ein Siegel ist, dass wirklich alles bis ins kleinste Detail geprüft wird. Tatsächlich ist das aber nicht der Fall, sagt Nicolas Lieven aus der Wirtschaftsredaktion des Deutschlandfunk. 

Häufig ist es nämlich so, dass der Tüv nur Unterlagen von den Herstellern bekommt. Und diese Unterlagen werden dann überprüft, ob die Normen eingehalten und die Vorschriften und Gesetze befolgt werden. Und dann macht der Tüv seinen Stempel drauf. 

"Es ist überhaupt nicht so, dass bei Seilanlagen oder Windkrafträdern tatsächlich immer alles bis ins kleinste Detail geprüft wird."
Nicolas Lieven, Wirtschaftsredaktion

Häufig werden auch gar nicht die Produkte geprüft, sondern Teile des Herstellungsprozesses. Wie im Fall der defekten Brustimplantate. Da wurde lediglich vom Tüv geprüft, ob die Qualitätssicherung im Haus stimmt.

Lukrative Expansion ins Ausland

Dass der Tüv einen Staudamm in Brasilien prüft, liegt daran, dass er Zugriff auf Spezialisten verfügt, die sich zum Beispiel mit Statik und Materialien auskennen. Deutschland hat, was Ingenieure angeht, einen wirklich guten Ruf, sagt Nicolas Lieven. Dabei zeige sich an vielen Projekten, dass die Spezialisten diesem Ruf nicht unbedingt gerecht würden.

"Ich frag mich manchmal: Habt ihr Stuttgart 21 nicht gesehen oder BER, den Flughafen, oder die Elbphilharmonie? Das hat sich lange verzögert, da gab es große Probleme, aber das ist offensichtlich in vielen Ländern nicht angekommen."
Nicolas Lieven, Wirtschaftsredaktion

Vereine wie der Tüv-Süd, Tüv Nord oder Tüv Rheinland sind inzwischen in ungefähr 50 Länder expandiert. Dort haben sie in den vergangenen Jahren ihre Umsätze massiv gesteigert. Das Problem an den Tüv-Sigeln, sagt Nicolas Lieven, ist vor allem die Intransparenz. Der Verbraucher weiß einfach nicht, was genau da geprüft wurde. 

"So wie es im Augenblick ist, kann ich nur sagen: Auf so ein Tüv-Siegel würde ich mich persönlich nicht verlassen."
Nicolas Lieven, Wirtschaftsredaktion

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Shownotes
Qualitätssicherung
Tüv-Siegel nicht zuverlässig
vom 30. Januar 2019
Moderator: 
Till Haase
Gesprächspartner: 
Nicolas Lieven, Wirtschaftsredaktion des Deutschlandfunk