Vassili Golod ist Journalist und lebt in Deutschland, aber er wurde in der Ukraine geboren. Seine Mutter stammt aus Russland, sein Vater ist Ukrainer. Vassili sagt, der aktuelle Konflikt sei auch in der Familie zu spüren, allerdings teilen alle den Wunsch, dass es zu keiner weiteren Eskalation kommen sollte.
Vassili sagt, es wäre schrecklich für die Ukraine, wenn es zu einem Krieg käme. "Die Ukraine leidet seit 2014 einfach darunter, dass ihr die Krim von Russland weggenommen wurde – diese völkerrechtswidrige Annexion. Sie leidet darunter, dass es einen Krieg im Osten des Landes gibt, bei dem schon mehr als 14.000 Menschen getötet wurden", sagt er.
"In meiner Familie gibt es viele Spannungen."
Vassili sagt, er kenne niemanden, der sich einen großen Krieg mit Russland wünsche. Denn auch für die russische Seite würde ein Krieg Folgen haben: "Für Russland würde das natürlich auch größere Isolation bedeuten. Russland könnte ja zum Beispiel vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen werden. Und das würde alle hart treffen, vor allem die Menschen in beiden Ländern", sagt er.
"Es gibt eigentlich keinen Menschen mit vernünftigem Menschenverstand, der sagt: Krieg wäre geil, Eskalation wäre geil."
Vassili hat mit Menschen auf beiden Seiten gesprochen: In der Ukraine mit Katja, die aus Debalzewe stammt, einer Stadt, die seit 2014 von pro-russischen Separatisten kontrolliert wird. Katja ist heute 20 Jahre alt, sie musste als Mädchen flüchten und lebt jetzt in Charkiw. "Sie sagt, dass sie Putin alles zutraut", berichtet Vassili Golod. Sie sehe bei Putin dieses imperiale Denken. Katja sagt, sie sei bereit, für ihr Land zu kämpfen. "Und das finde ich krass, von einer 20-Jährigen so einen Satz zu hören", sagt der Journalist.
Die Sicht von Menschen in der Ukraine
Der Journalist hat auch mit dem Ukrainer Oleksij gesprochen. Oleksij ist Anfang 40 und organisiert Festivals, fünf Kilometer von der Front entfernt. "Da habe ich auch gefragt: 'Wie kommst du auf diese Idee?' Und der sagt: 'Naja, wir müssen den Jugendlichen hier ja irgendetwas bieten und auch irgendwie zeigen, dass Kultur hier existieren kann. Und nicht, dass alle unsere kleine Stadt nur mit Krieg verbinden.'" Gerade plane er ein Festival für August.
"Er sagt: 'Der Krieg läuft schon. Ich kann es mir eigentlich nicht schlimmer vorstellen. Wir müssen einfach weiterleben.'"
Auf der russischen Seite sieht Vassili einen Generationenkonflikt. Er hat dort mit seinem Großvater und mit dem Studenten Igor gesprochen. Beide haben eine etwas andere Sicht auf den Konflikt.
Igor studiert in Jekaterinenburg. Einerseits versteht er, dass Russland, beziehungsweise dass Putin geopolitische Interessen hat. Aber er finde es nicht in Ordnung, dass mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine stehen. Igor sei der Meinung, dass die Interessen diplomatisch durchgesetzt werden müssten. Der Student kritisiere auch einiges, was in Russland ablaufe: Etwa, dass der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny im Gefängnis sitzt. Oder dass die Menschenrechtsorganisation Memorial, die sich mit dem Stalin-Terror auseinandersetzt, verboten wurde und dass jetzt Journalist*innen der Deutschen Welle nicht mehr aus Russland berichten können.
Die russische Sicht auf den Konflikt
Vassilis Großvater sieht die Situation anders: "Der sagt auch: 'Auf gar keinen Fall soll es einen Krieg geben. Aber wenn die Nato oder die Ukraine Stress machen, dann müssen wir unsere Grenzen verteidigen.'" Und das sei die Version, die in russischen Medien verbreitet werde: 'Nicht wir rüsten auf, sondern wir werden bedroht.'"
In dieser Version der Geschichte heiße es: Die Nato rüstet auf, die Nato droht, die Nato eskaliert, und Russland habe nichts vor. Es stehe überhaupt nicht zur Debatte, in der Ukraine einzumarschieren. Das seien alles Schein-Geschichten, die im Westen behauptet würden. Der Journalist Vassili Golod ist nicht einverstanden mit der russischen Version und fügt hinzu: "Aber es ist ja so, wie Annalena Baerbock das bei der Pressekonferenz mit Lawrow [dem russischen Außenminister, Anm. Dlf Nova] gesagt hat: 'Das lässt sich eben nicht anders verstehen als eine Bedrohung. Wenn da so viele Soldaten an allen Grenzen von allen Seiten um die Ukraine drumherum stehen.'"
"Für sie ist die Ukraine eine Art Teil ihres Territoriums. Und sie sagen halt: 'Der Westen soll sich von unseren Grenzen fernhalten.'"
Die Generation seines Opas habe den größten Teil ihres Lebens in der Sowjetunion gelebt – und somit auch bis heute das sowjetische Großmachtdenken verinnerlicht. Für sie sei die Ukraine eine Art Teil ihres Territoriums. "Sie sagen halt: 'Der Westen soll sich von unseren Grenzen fernhalten. Wir wollen nicht, dass da irgendetwas stationiert ist. Wir wollen nicht, dass die Ukraine in irgendeiner Weise zu diesem Militärbündnis dazugehört.' Und das ist natürlich eine im Kern sehr übergriffige Haltung, weil die Ukraine zuletzt seit 30 Jahren ein unabhängiger Staat ist, der eigene Interessen hat, der ein souveräner Staat ist. Und das akzeptiert weder Putin so richtig, noch sehen das eben diese älteren Menschen wie mein Opa ein."
Wenn ihr noch mehr darüber erfahren wollt, wie der Journalist den Ukraine-Konflikt beschreibt und wie er ihn sogar in seiner Familie erlebt, dann klickt auf den Play-Button und hört euch das gesamte Gespräch an.