Carla Jaggi ist mit 27 Jahren die jüngste Bergführerin der Schweiz – und eine der wenigen Frauen, die den verantwortungsvollen Job ausüben. Bergführer müssen heute viel mehr können, als nur den Weg zeigen. Eine gute Kondition, Kletter- und Wetterkenntnisse allein reichen nicht aus.
Seit einem Jahr ist Carla Jaggi ausgebildete Bergführerin im IVBV, der Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände. Die jüngste Bergführerin der Schweiz arbeitet nicht nur in ihrem Heimatland, sondern weltweit.
Gerade ist sie aus Nepal zurückgekommen. Drei Wochen war sie dort und hat zwei Schweizer und einen Österreicher auf verschiedene Expeditionen begleitet. Carla war zum ersten Mal in Nepal. Das ist aber egal, erzählt sie uns, denn während der Ausbildung werden angehende Bergführer genau darauf vorbereitet: überall sofort Gefahren abschätzen zu können.
Carla entspricht nicht dem Klischee
Wenn sie an Bergführer denken, stellen sich die meisten Leute eher einen großen, breitschultrigen, bärtigen, wortkargen Mann vor, sagt Carla und lacht. Diesem Bild entspricht sie nämlich in keiner Weise.
"Ganz ehrlich: Wenn ich mir einen Bergführer vorstelle, dann habe ich nicht das Bild von mir vor Augen."
Carla ist weder breitschultrig noch ein Mann. Sie wiegt zurzeit 48 Kilogramm. Im Winter sind es 52, aber die Strapazen im Sommer kosten sie stets vier Kilo. Im Moment ist sie immer noch die jüngste Bergführerin in der Schweiz. Es gibt nämlich nicht viele Frauen, die den Job machen. Die Ausbildung ist hart: Angefangen hat Carla zusammen mit 60 anderen Leuten. Abgeschlossen haben die Ausbildung am Ende zehn davon: neun Männer und Carla.
Vor allem der physische Aspekt des Berufes sei ein Grund dafür, glaubt Carla. Zur körperlichen Anstrengung komme die mentale Belastung: Man müsse ständig sehr schnell sehr viele Entscheidungen treffen.
Physis und mentale Stärke
Sie wolle damit nicht vermitteln, dass das Frauen grundsätzlich weniger gut können, sagt Carla. Doch viele fühlten sich dadurch abgeschreckt, dass in diesem Berufsfeld sehr viele Männer unterwegs sind und man körperlich viel arbeiten muss.
In der Schweiz sei vor allem das Matterhorn sehr beliebt. "Dort wollen alle hoch", sagt Carla. Auch im Berner Oberland ist sie viel unterwegs. Immer dabei hat sie eine Uhr zum Druckmessen, eine Notapotheke mit Schmerzmitteln, einen GPS-Sender und – je nach Region – ein Notfunkgerät. Der Empfang in den Bergen ist nämlich nicht immer gut.
Bergführer müssen zuhören können
Früher waren Bergführer eher ruhige, unaufdringliche Begleiter, eine Art zuverlässiger Kompass für die Teilnehmer einer Expedition. Heute seien deren Erwartungen aber deutlich gestiegen.
"Früher war der Bergführer dazu da, den Weg zu zeigen. Er musste nicht sprechen, einfach nur laufen. Heute ist der Bergführer gleichzeitig Entertainer."
Die oder der Guide müsse sich gut mit Blumen und Pflanzen auskennen. Vor allem aber müsse sie oder er gut zuhören können: Es gebe Leute, die ihr innerhalb von ein paar Stunden ihre ganze Lebensgeschichte erzählen, berichtet Carla.
Dadurch bekomme sie ein ganz anderes Verhältnis zu den Gästen – eines, das weit über das von Bankberater und Kunde hinausgeht. Zum Teil ist eine Gruppe mehrere Tage lang zusammen unterwegs. Dabei wachse das Vertrauen. Man lerne die Leute immer besser kennen und merke auch, wenn sie an ihre Grenzen kommen.
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