Sie ist zwar nur zwei Millimeter klein, ist aber eine große Bedrohung für ihre Artgenossen: Die Sklavenhalter-Ameise. Sie rückt regelmäßig zu Überfällen aus, um die Puppen fremder Ameisenvölker zu rauben und diese als Sklaven zu unterwerfen. Eine filmreife Aktion.
Die Sklavenhaltermeise, angesiedelt im Nordosten der USA und teilweise in Kanada, findet man häufig in einer Nussschale oder einer hohlen Eichel. Dort lebt die winzige Ameise aber nicht allein, sondern mit ihrem ganzen Staat. Der besteht nämlich nur aus zehn Arbeiterinnen und einer Königin – und 60 Sklaven. Im Laufe der Evolution haben sich die Sklavenhalter-Ameisen so an ihre Untertanen gewöhnt, dass sie ohne sie nicht mehr lebensfähig sind.
Filmreifer Überfall
Es klingt wie eine Szene aus einem Action-Film: Zuerst werden Spione ausgesendet, die die Nester einer anderen Ameisenart aufspüren und ausspionieren sollen. Ist das geschafft, holen sich die Kundschafter meistens noch Helferinnen dazu. Dann beginnt der Überfall auf das fremde Nest mit dem Ziel, die erwachsenen Feinde zu töten und möglichst viele Puppen zu rauben.
Dabei kann sich eine einzige Sklavenhalter-Ameise gegen bis zu 100 Verteidiger durchsetzen, sagt Deutschlandfunk-Nova-Tierexperte Mario Ludwig.
"Bei einem Überfall schafft es eine einzige Sklavenhalterameise oft, sich gegen eine erdrückende Übermacht von bis zu 100 Verteidigern durchzusetzen."
Interessanterweise bevorzugen die Sklavenhalter-Ameisen sogar die großen und gut verteidigten Nester. Dort sei zwar das Risiko höher, mehr ihrer eigenen Artgenossen zu verlieren, sie hätten aber auch die Chance, mehr Puppen pro Überfall zu ergattern, sagen die Forschenden.
Manipulation durch Duftstoffe
Die geraubten Puppen werden dann in das eigene Nest geschleppt und dort von den "Alt-Sklaven" bis zum Schlüpfen gepflegt. Dann - wir wechseln zum "Psycho-Thriller" - werden die Sklavenameisen direkt nach dem Schlüpfen von den Sklavenhalter-Ameisen mit Hilfe von nesttypischen Pheromonen, also Duftstoffen, umhüllt und manipuliert.
Diese Duftstoffe lassen die versklavten Ameisen denken, sie seien selbst Sklavenhalterameisen und so übernehmen sie alle im Bau anfallenden Arbeiten, ohne sich zu beschweren.
"Obligatorische Sklavenhaltung"
Neben der Brutpflege der neuergatterten Puppen brüten die schon vorher versklavten Ameisen auch die Puppen der Erobererinnen aus. Sie kümmern sich um die Wartungs- und Reinigungsarbeiten am Bau, und auch die Futtersuche wird den versklavten Ameisen überlassen. So halten sie den Laden der Sklavenhalter-Ameisen am Laufen. Daran haben sich die Sklavenhalter-Ameisen mittlerweile so gewöhnt, dass sie ohne ihre Sklaven nicht mehr fähig sind zu leben.
"Ein Sklavenhalter-Ameisenvolk ist heute ohne Sklaven noch nicht mal im Ansatz lebensfähig."
Wissenschaftlerinnen nennen dieses Prinzip deshalb eine "obligatorische Sklavenhaltung". Die Duftstoffmanipulation scheint jedoch nicht ewig zu halten, und so kommt es immer wieder zu indirekten "Aufständen" der versklavten Ameisen.
Die Revolte der versklavten Ameisen
Forschende haben beobachtet, dass die versklavten Ameisen manchmal die Brut der Sklavenhalter-Ameise vernachlässigen oder sogar gezielt töten - und das obwohl sie keinen direkten Nutzen daraus ziehen können. Denn die versklavten Ameisen können sich selbst nicht fortpflanzen und somit auch nicht das Nest der Sklavenhalter übernehmen.
Aufopfern für die freien Artgenossen
Wissenschaftler vermuten deshalb, dass die Beweggründe der versklavten Ameisen von selbstloser Natur sind. Sie wollen damit die anderen, noch freien Kolonien vor den Sklavenhalter-Ameisen bewahren. Denn durch das Töten des Sklavenhalternachwuchses haben die Sklavenhalter-Ameisen eine geringere Wachstumsrate und können damit weniger Raubzüge unternehmen.
So gibt es zumindest für die noch in Freiheit lebenden Schwestern und Brüder ein Happy End.
Noch mehr Bock auf Ameisen? Hier gibt es einen ganzen Hörsaal zum Thema.
Bild oben: Symbolbild