Die EU-Kommission möchte Atom- und Gaskraftwerke als nachhaltige Investitionen einstufen. Für Investoren würde das als eine Art Empfehlung dienen, wenn sie nachhaltige Technologien unterstützen möchten. Von der Bundesregierung kommt besonders wegen der Atomkraft Kritik.

Als in Deutschland drei weitere der insgesamt sechs verbliebenen Kernkraftwerke am 31. Dezember 2021 vom Netz gegangen sind, hat die EU-Kommission mit einem neuen Entwurf die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen.

Danach möchte die EU-Kommission Investitionen in Atomkraft und Gasenergie als klimafreundlich einstufen. Sie sollen als Übergangstechnologien dienen, bis ausreichend Strom aus erneuerbaren Energien kommt.

Klimaneutralität bis 2050

Der Vorschlag ist Teil der sogenannten Taxonomieverordnung, mit der die Europäische Union ihr Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, umsetzen möchte. Die Taxonomie ist eine Art Kriterienkatalog, der angibt, wie klima- und umweltfreundlich wirtschaftliche Aktivitäten sind.

Für Investorinnen und Investoren dient er damit quasi als eine Empfehlung, welche Technologien im Sinne der EU förderwürdig sind. Möchten sie in Zukunft in klimafreundliche Technologie investieren, würden durch den Entwurf auch Atom- und Gaskraftwerke infrage kommen.

Der Entwurf der EU-Kommission

Die Anlagen sollen dafür aber bestimmte Bedingungen erfüllen. Zum Beispiel sollen neue Kernkraftwerke auch den neusten technischen Standards entsprechen und eine Baugenehmigung bis 2045 erhalten haben. Als weitere Voraussetzung sieht der Entwurf ein genaues Konzept für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vor.

Auch Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen übergangsweise unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig eingestuft werden. Entscheidend ist zum Beispiel, dass jede neue Erdgasanlage eine Anlage, die konventionelle Energiequellen wie Kohle benutzt, ersetzen soll. Ihre ausgestoßenen Treibhausgase müssen zudem weit unter denen von bisherigen Gaskraftwerken liegen.

Finale Version Mitte Januar

Den Entwurf sollen die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union an Silvester kurz vor Mitternacht erhalten haben. Offiziell ist der Vorschlag noch nicht. Die Mitgliedsstaaten sollen bis Mitte Januar Zeit haben, um über den Entwurf zu beraten und sich dazu zu äußern. Dann möchte die EU-Kommission eine finale Version vorstellen.

Atomkraft als großer Kritikpunkt

Seitdem der Entwurf der EU-Kommission veröffentlicht ist, gibt es besonders wegen der Atomkraft viel Kritik. Deswegen ist von der Bundesregierung auch eine Gegenstimme erwartbar, sagt Deutschlandfunk-Korrespondentin Nadine Lindner aus dem Hauptstadtstudio. Das liegt vor allem daran, dass der EU-Entwurf Kernkraftwerke als klimafreundlich labeln möchte.

Tatsächlich verursacht ein Atomkraftwerk wesentlich weniger CO2-Emissionen als ein Braunkohlekraftwerk - und je nach Rechnung sogar weniger als erneuerbare Energien. Und Frankreich erzeugt praktisch den kompletten Strom mithilfe von Atomkraftwerken.

Was bleibt, ist der Atommüll. Hier lässt auch der Entwurf der EU-Kommission offen, was letzten Endes damit passieren würde, kritisiert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

Mit ihrem Vorhaben würde die EU-Kommission einen Markt für Atomenergie schaffen würde, der auch noch als nachhaltig qualifiziert werde, sagt er. Und das sei ein "Etikettenschwindel".

FDP lobt politische Förderung moderner Gaskraftwerke

Weniger kritisch äußerte er sich zum Erdgas als Übergangslösung - was daran liegen könnte, dass auch der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP moderne Gaskraftwerke als Übergangstechnologie ansieht.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz machte über einen Regierungssprecher deutlich, dass die Bundesregierung die Entscheidung zur Atomkraft ausdrücklich ablehne. In Deutschland ist der Atomausstieg schließlich auch schon lange beschlossenen Sache. Die FDP lobt hingegen als einzige Partei der Ampelkoalition die Förderung der modernen Gaskraftwerke.

Jetzt wird die Bundesregierung den Vorstoß der EU-Kommission prüfen und sich in den nächsten Tagen dazu äußern.

"Ich sehe keinen großen Koalitionsstreit, der dort ausbricht."
Nadine Lindner, Dlf-Korrespondentin im Hauptstadtstudio

"Fehlender politischer Wille"

Auch Jutta Paulus, Energieexpertin der Grünen im Europäischen Parlament, kritisiert die Pläne der EU-Kommission. Sie wirft einerseits die Frage auf, inwiefern die Atomkraft als Übergangslösung für eine klimaneutrale EU 2050 dienen soll. "Kein neues AKW ist in den letzten Jahren mit einer Bauzeit von unter 15 Jahren an den Start gegangen", sagt sie.

Gaskraftwerke hält die Energieexpertin in einer Übergangsphase für als Plan B für denkbar, sollte es durch die erneuerbaren Energien zu kurzen Versorgungsengpässen kommen. Später könnte das Erdgas durch Wasserstoff ersetzt werden. In diesem Fall darf die Gasenergie aber nicht als "grüne Energie" vermarktet werden, betont sie.

Für entschiedener hält sie jetzt, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern. Dafür fehlt gerade aber der politische Wille und ein Signal an die Investor*innen, sagt sie.

"Die Kommission sagt, es soll ein Übergang sein zu einer erneuerbaren Welt – wie soll das funktionieren? Kein neues Akw ist in den letzten Jahren mit einer Bauzeit von unter 15 Jahren an den Start gegangen."
Jutta Paulus, Energieexpertin der Grünen im Europäischen Parlament

Dass der Entwurf der EU-Kommission von den Mitgliedsstaaten durchgewunken wird, hält Deutschlandfunk-Korrespondent Peter Kapern für wahrscheinlich. Gerade Frankreich und Polen würden darauf drängen, Atomkraft als klimafreundlich einzustufen.

Damit er abgelehnt wird, müssten mindestens 20 EU-Staaten dagegen stimmen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten oder mindestens 353 Abgeordnete im EU-Parlament. Das gilt als unwahrscheinlich, sagt Peter Kapern. Neben Deutschland positionieren sich Österreich, Luxemburg, Dänemark und auch Portugal klar gegen Atomkraft.

Shownotes
Entwurf der EU-Kommission
Das steckt hinter den grünen Gas-und Atomkraftwerken der EU
vom 03. Januar 2022
Moderatorin: 
Anke van de Weyer
Gesprächspartnerin: 
Nadine Lindner, Dlf-Korrespondentin im Hauptstadtstudio