Auf Twitter machen die Hashtags #frauenlesen und #wirlesenfrauen die Runde. Die Idee dahinter: Eine Art weiblichen Literaturkanon zu erstellen - und Literatur von Frauen sichtbarer zu machen.
Es heißt häufig, der Literaturkanon sei zu männlich. Und da ist was dran, meint die Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz. Obwohl auch der Literaturkanon im Wandel ist, lesen wir nach wie vor weniger Bücher von Autorinnen, sagt sie. "Das liegt sicherlich daran, dass wir noch nicht in einer gleichberechtigten Gesellschaft leben". Der Büchermarkt spiegele da gewissermaßen die gesamtgesellschaftliche Lage wider. Berit Glanz ist selbst Autorin - im Herbst erscheint ihr Debütroman.
"Es gibt seit den letzten 20, 30 Jahren eine Tendenz zur Auflösung von Kanones. Das bedeutet, dass der Kanon offener wird und nicht mehr so fix ist, wie er früher war."
Wenn wir uns anschauen, welche Bücher in den Schulen oder an den Universitäten gelesen werden, dann seien unter den "Klassikern" nach wie vor mehr Bücher von Männern als Frauen. Männer - und besonders weiße Männer - hätten aber nicht unbedingt mehr geschrieben als Frauen. Ihre Literatur ist einfach präsenter, sagt die Literaturwissenschaftlerin: "Es liegt hauptsächlich an der Sichtbarkeit."
Frauen haben nicht weniger geschrieben
Kanonisierte Werke seien leichter auffindbar. Da die Werke von Frauen weniger kanonisiert wurden, müssen wir nach ihnen aktiv suchen, sagt Berit Glanz: "Das sind noch Schätze, die man bergen muss."
"Es gibt Literatur von Frauen aus allen Jahrhunderten - viel davon ist eben nicht kanonisiert worden."
Auf der Suche nach mehr Literatur von Frauen können die beiden Hashtags #frauenlesen und #wirlesenfrauen helfen. Dabei geht es nicht nur darum, die Namen von Autorinnen zu erwähnen, sondern es geht auch um einen Austausch über die gelesene Literatur. Tipps oder gar Vorgaben zur Literatur von Frauen möchte Berit Glanz nicht geben: "Wenn man die Augen aufmacht, und man nimmt sich vor, man möchte diverser lesen, dann findet man Texte, die einen interessieren." Die sozialen Medien - Twitter besonders - seien für alle Interessierten eine gute Adresse, um Anregungen zu bekommen.
"Ich würde ungern sagen, alle müssen Patricia Highsmith gelesen haben oder alle müssen Virginia Woolf gelesen haben."
Den Literaturbetrieb vergleicht Berit Glanz mit einem großen Schiff, das sich zwar bewegt, aber eben nicht so schnell. Noch immer gebe es ein Ungleichgewicht, noch immer würden Männer bevorzugt: "Gerade ist es noch so, dass Autoren sichtbarer sind, mehr Preise kriegen, mehr besprochen werden, höhere Vorschüsse kriegen."
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