Die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze spitzt sich immer weiter zu. Tausende Menschen versuchen, über die Grenze in die Europäische Union zu kommen. Nun gab es ein Telefonat zwischen Angela Merkel und Alexander Lukaschenko.

Tausende Menschen sitzen in Belarus fest. Sie sind umgeben von Zäunen, werden bewacht von Soldaten und haben nichts zu Essen und Trinken. Ihr Ziel ist es, über Polen in die EU zu kommen. Doch das Land will sie nicht reinlassen.

Man geht davon aus, dass der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko die Geflüchteten aus den asiatischen Krisenregionen gezielt in die EU einreisen lässt, und damit auf EU-Sanktionen reagiert. Die Europäische Union hatte im Mai Sanktionen wegen der Gewalt in Belarus gegenüber den eigenen Bürger*innen nach den Präsidentschaftswahlen im Sommer 2020 verhängt.

"Lukaschenko wird das sicherlich als Punktsieg verkaufen. Ob es den Migrantinnen und Migranten an der Grenze hilft, das steht auf einem anderen Blatt."
Christina Nagel, Korrespondentin für Belarus über das Telefonat zwischen Merkel und Lukaschenko

In der vergangenen Nacht nun soll Angela Merkel mit Lukaschenko telefoniert haben, um über die Situation der Menschen in der Grenzregion zu sprechen. Das war der erste Kontakt des Machthabers mit einer westlichen Regierung seit den Wahlen im August 2020. Christina Nagel ist Deutschlandfunk-Korrespondentin in der Region und meint, dass Lukaschenko das Telefonat als Sieg verbuchen wird. Allerdings glaubt sie nicht, dass das Telefonat als Zeichen gedeutet werden kann, Merkel würde Lukaschenko als Präsident anerkennen.

Es ist ungewiss, was das Telefonat bewirkt

Der Westen erkennt Lukaschenko nicht als Präsidenten von Belarus an. Deshalb werde der Machthaber das Telefonat mit Merkel als einen "Schritt auf die belarussische Seite" sehen, sagt Nagel. Ob und inwiefern das den festsitzenden Migrant*innen helfe, bleibe hingegen abzuwarten.

"Die beiden haben eine knappe Stunde miteinander telefoniert, sagt das belarussische Staatsfernsehen. Sie haben darüber geredet, dass man alles daran setzen will, dass die Lage nicht eskaliert und dass man versuchen will, von allen Seiten humanitäre Hilfe zu leisten", so die Korrespondentin. Doch für die Menschen vor Ort sei es bereits schrecklich. "Für die Migrantinnen und Migranten ist es schon längst eskaliert", sagt Nagel.

Migrant*innen hoffen weiter

"Man muss sich einfach vorstellen, diese rund 3.500 Leute, die allein vor diesem Grenzabfertigungsposten sitzen, haben die Nacht bei Temperaturen um die Null Grad auf Asphalt verbracht", so Nagel. "Sie machen ein paar Feuerchen und liegen dicht aneinander. Schlafsack an Schlafsack, um irgendwie die Nacht zu überstehen."

"Dort hat sich natürlich auch herumgesprochen, dass Merkel und Lukaschenko telefoniert haben."
Christina Nagel, Korrespondentin für Belarus über die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze

Das Telefonat zwischen Lukaschenko und Merkel habe sich auch unter den Migrant*innen herumgesprochen. Deshalb würden sich viele Menschen vor Ort nun Hoffnungen auf eine Lösung machen und weiter ausharren. "Die leben von diesem Prinzip Hoffnung", sagt Nagel. "Die meisten haben alles verkauft, haben geguckt, dass sie wegkommen. Sie haben sich auf eine falsche Fährte eingelassen und stehen da jetzt."

Shownotes
Polnisch-belarussische Grenze
"Für die Migrant*innen ist die Lage schon eskaliert"
vom 16. November 2021
Moderator: 
Till Haase
Gesprächspartnerin: 
Christina Nagel, ARD-Korrespondentin für Belarus