Psychotherapeut Bastian Willenborg empfiehlt nicht jedem eine Therapie zu machen. Denn auch Therapien können Nebenwirkungen haben. Wann ein guter Zeitpunkt für den Beginn einer Therapie ist und welche Therapieformen sich in welchem Fall gut eignen, erklärt der Mediziner.

In einer Psychotherapie können wir mit Themen konfrontiert werden, von denen uns möglicherweise gar nicht bewusst war, dass sie eine Rolle für uns spielen.

Bastian Willenborg gibt ein Beispiel: Wenn sich etwa eine Person ursprünglich dafür entscheidet, eine Therapie zu machen, weil sie Symptome einer Angststörung oder einer Zwangsstörung bei sich festgestellt hat. Dann kann es passieren, dass diese Person gegen Ende der Therapie zu dem Ergebnis kommt, dass die Beziehung zum Partner, zur Partnerin oder das Arbeitsumfeld ihr nicht guttut und einen großen Einfluss auf ihre Symptome hat.

Größere Themen, die sich hinter Symptomen verstecken

Der Psychotherapeut Bastian Willenborg bezeichnet solche Erkenntnisse als mögliche "Nebenwirkungen" von Therapien. Er erklärt seinen Patient*innen, dass sie sich darüber klar sein müssen, dass sich hinter den Symptomen andere Themen verbergen können, mit denen sie sich vielleicht sogar gar nicht auseinandersetzen möchten.

"Es ist niemals zu früh und selten zu spät für eine Therapie, aber aufgrund der Versorgungsrealität warten Menschen, die in einer Krise sind und jetzt Hilfe brauchen oft vier, fünf, sechs Monate lang."
Bastian Willenborg, Facharzt für Psychotherapie und Psychatrie

Deswegen ist der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie der Meinung, dass sich zwar jeder mit eigenen Themen auseinandersetzen darf, dass sich eine Psychotherapie aus seiner Sicht aber nicht für jeden eignet.

Den Zeitpunkt erkennen, an dem eine Therapie empfehlenswert ist

Oft können Monate vergehen, bis jemand, der sich für eine Therapie entscheidet, auch tatsächlich den passenden Therapieplatz findet. Auch für Privatversicherte sei es schwer, berichtet Bastian Willenborg aus seinem Arbeitsalltag.

Seiner Meinung nach ist es wichtig, Veränderungen an sich selbst wahrzunehmen und dadurch erste Risikofaktoren und Symptome zu erkennen, zum Beispiel:

  • schlechterer Schlaf
  • schlechtere Stimmung
  • Energielosigkeit
  • Appetitlosigkeit
  • sich "situationsunangemessen" zu fühlen, das bedeutet zum Beispiel, dass andere sich freuen, man selbst sich aber nicht mitfreuen kann

Dabei rät Bastian Willenborg aber auch zu beachten, dass Stimmungsschwankungen durchaus vorkommen können und auch ein Zeichen für geistige Gesundheit sind.

"Wenn es darum geht, tatsächlich Unterstützung anzunehmen, würde ich sagen, immer dann, wenn ich erste Symptome merke."
Bastian Willenborg, Facharzt für Psychotherapie und Psychatrie

Und das einmalige Auftreten eines Symptomes bedeutet nicht, dass wir sofort eine Therapie beginnen sollten. Der Psychotherapeut bezieht sich bei seiner Empfehlung auch auf die Leitlinien zur Behandlung von Depressionen.

Wer einmal schlecht schläft oder bei einer Gelegenheit keinen Appetit zeigt, muss selbstverständlich nicht sofort eine Therapie in Betracht ziehen. Bastian Willenborg empfiehlt sogenanntes "Watchful waiting", das heißt, wir warten zunächst zwei, drei Wochen ab und beobachten uns selbst bei dieser Gelegenheit einfach genau. Die Frage, die wir uns stellen können ist: Bleiben die Symptome bestehen, verändern sie sich oder verschwinden sie sogar ganz.

"Wenn man aber merkt, das sind jetzt zwei, drei, vier Wochen, dann finde ich, ist es schon der Zeitpunkt, an dem man schauen kann, ob man einen Termin bekommt."
Bastian Willenborg, Facharzt für Psychotherapie und Psychatrie

Wer sich für eine Therapie entscheidet, sieht sich mit der Frage konfrontiert, welche Therapieform für sie oder ihn am geeignetesten ist. Bei einigen Erkrankungen und Störungen, sei das durch die Forschung schon recht eindeutig belegt, sagt Bastian Willenborg.

Beispielsweise habe sich bei Zwangserkrankungen gezeigt, dass sie durch Exposition behandelt werden sollten, weil es eine der wirksamsten Methoden sei. Bei der Exposition werden Patient*innen mit dem Auslöser ihrer Angst unter Anleitung eines Therapeuten in einem Maße konfrontiert, das zu ertragen ist. Die Patient*innen verbleiben dann oft so lange in dieser Situation, bis die Angst von alleine nachlässt.

Therapeutische Beziehung: Einer der wichtigsten Faktoren

Es gibt sehr unterschiedliche Therapieformen. Zu den anerkanntesten zählen unter anderem die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologische Therapie, die psychoanalytische Therapie und die systemische Therapie. Das sind auch die Therapieformen, die in Deutschland von der Krankenkasse akzeptiert sind. Neben der Therapieform sei aber vor allem die therapeutische Beziehung einer der wichtigsten Faktoren für einen Behandlungserfolg, sagt Bastian Willenborg. Der Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie hält das Verhältnis zwischen Therapeut*in und Patient*in für wahrscheinlich sogar wichtiger, als den speziellen Therapieansatz, den der jeweilige Psychologe verfolgt.

"Einer der größten Wirkfaktoren in der Psychotherapie ist vermutlich die therapeutische Beziehung."
Bastian Willenborg, Facharzt für Psychotherapie und Psychatrie

In fünf sogenannten probatorischen Sitzungen haben Patienten auf der Suche nach einem Therapieplatz die Möglichkeit, den Therapeuten und dessen Behandlungsmethode kennenzulernen, bevor sie sich entscheiden müssen. Es ist sogar möglich, probatorische Sitzungen parallel bei unterschiedlichen Therapeut*innen zu besuchen.

Für die Suche nach einem Therapieplatz empfiehlt Bastian Willenborg zum Beispiel die Plattform Therapie.de oder, falls die eigene Krankenkasse diese Services bietet: die telefonische Beratung oder Listen, die die Kasse zusammengestellt hat, auf denen Therapeuten vermerkt sind.

Hier kannst du schnell Hilfe finden:

Eine Übersicht über Hilfsangebote haben wir hier zusammengestellt.

Shownotes
Psychische Gesundheit
Wann eine Therapie sinnvoll sein kann
vom 21. April 2024