Die Financial Times aus London will mehr Frauen in ihren Texten zitieren. Deswegen hat die Zeitung jetzt ein Text-Analyse-Tool eingeführt, das Journalisten während der Arbeit an einem Artikel darauf aufmerksam macht, wenn mehr Männer als Frauen darin vorkommen.
Die Meinung und Expertise von Frauen – egal aus welcher Fachrichtung – sind in Zeitungsartikeln, Fernseh- oder Radiosendungen immer noch deutlich in der Unterzahl. Oft sind es die Männer, die ein Thema kommentieren oder einordnen. Und genau das möchte die Financial Times London jetzt mithilfe künstlicher Intelligenz ändern. Die Software analysiert alle Vornamen und Pronomen in den Zeitungstexten. Tauchen keine Frauen auf, alarmiert das Programm die Redakteure – in Zukunft sogar schon beim Schreiben des Artikels. Das berichtet der Guardian.
Dieser Schritt hat wirtschaftliche Hintergründe. Die Zeitung wünscht sich nämlich mehr Leserinnen. Studien und Experimente haben ergeben, dass Frauen online eher auf Artikel klicken, die mit dem Foto einer Frau bebildert sind. Diese Bilder gibt es häufiger, wenn im Artikel auch von Frauen und Expertinnen die Rede ist. Das hat jetzt die Vize-Chefredakteurin Roula Khalaf in einer internen E-Mail verkündet. Bisher lag die Anzahl der zitierten Frauen bei nur 21 Prozent.
"Es ist ein bisschen wie mit der Quote, die ja kein Mensch möchte, die aber unglaublich effektiv ist."
Mithu Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Journalistin, die sich viel mit Genderthemen beschäftigt, findet so ein Tool ein bisschen stumpf, glaubt aber, dass es wirkt. Sie erinnert an die Quote, die ja eigentlich auch niemand wolle. Solange man sie für Unternehmen nicht verpflichtend mache, passiere lange Zeit erst einmal gar nichts. Und genauso sei das mit einem Algorithmus: "Der wird Leute drauf aufmerksam machen. Das heißt: Es passiert etwas!"
Die Financial Times ist nicht die erste Zeitung, die ein ausgeglichenes Verhältnis von Expertinnen und Experten anstrebt. Auch die schwedische Seite prognosis.se bietet einen Gender Equality Tracker, mit dessen Hilfe offizielle schwedische Nachrichtenseiten gecheckt werden.
Es gibt Expertinnen, aber das Bild ist verzerrt
Die Professorin Elisabeth Prommer, Direktorin am Institut für Medienforschung in Rostock, untersucht, wer in welcher Quote in den deutschen Medien vorkommt. Sie sagt, dass wir nach Berufsfeldern differenzieren müssen. Zum Beispiel seien die Hälfte aller Staatsanwälte Staatsanwältinnen und die Hälfte aller Richter Richterinnen. Genau das Gleiche gelte für viele andere Berufsfelder. Im Bereich der Schulen gebe es sogar mehr Schulleiterinnen als Leiter. Im Fernsehen kommen aber auf eine Expertin vier bis fünf Experten – das Bild werde extrem verzerrt.
"In Realität sind die Hälfte der Richter Richterinnen. Und die Hälfte der Staatsanwälte Staatsanwältinnen. Es gibt gar keinen Grund, warum alle im Rechtsbereich interviewten Experten Männer sind."
Das Erstaunliche: In den MINT-Fächern und den dazugehörigen Branchen sei der Frauenanteil allgemein eher gering, aber in den Medien kommen sie diesem Verhältnis entsprechend auch zu Wort. Also gerade in den technischen Fächern werden Männer nicht überproportional bevorzugt.
"Das wird nicht besser, aber potentiell ein bisschen diverser, weil Leute aus anderen Richtungen da drankommen."
In der Politik ist es wieder eine andere Sache. Dort gibt es zum Beispiel mehr Männer in der oberen Reihen. Elisabeth Prommer sagt, Journalisten könnten im Politikbetrieb für mehr Abwechslung sorgen, indem sie ihren Blick weiten, also auch mal in die zweite und dritte Reihe schauen, um Politikerinnen zu interviewen.
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