Arztpraxis, Bäckerei, Supermarkt, Klamottenladen und Testzentrum – überall müssen wir anstehen und vor allem warten, warten, warten. Das kann sehr nerven. Der Soziologe Andreas Göttlich gibt Tipps, wie wir in einer Warteschlange gelassen bleiben können.

Anstehen und nicht genervt sein – das erscheint wie ein Paradoxon. In die Geschäfte, die noch geöffnet haben, dürfen oft nur ein bis zwei Personen hinein – der Rest muss draußen anstehen. Nasskaltes Wetter und ein rauer Wind versüßen einem diese Minuten nicht unbedingt, die wir meist als verlorene Zeit ansehen.

"Besonders schlimm ist, wenn ich gar nicht weiß, ob das Warteziel überhaupt eintreten wird. Das führt zu psychischem Stress."
Andreas Göttlich, Soziologe

Was besonders nervt: Wenn wir im Anschluss noch einen Termin haben und nicht wissen, wie lange wir überhaupt anstehen müssen. Und manchmal ist ja noch nicht einmal klar, ob das Anstehen wirklich zum Ziel führt, wenn es kurz vor Ladenschluss ist oder wir möglicherweise einen Selbsttest kaufen wollen, der womöglich schon längst ausverkauft ist. Denn dann war die Warterei wirklich umsonst.

Die Ungewissheit und die Sorge, Zeit verschwendet zu haben

Die Ungewissheit darüber, wie lange das Warten andauern wird und die Sorge davor, vergebens gewartet zu haben, sind zwei Faktoren, die das Warten für uns besonders unerträglich machen, sagt der Soziologe Andreas Göttlich. Beides gibt uns das Gefühl, ohnmächtig zu sein und keinen Einfluss auf die Situation nehmen zu können.

"Wir sind ein Stück weit ohnmächtig. Das widerspricht dem modernen Ideal der Selbstbestimmung: Das wir eigentlich immer gerne selbst Herr der Lage sein möchten."
Andreas Göttlich, Soziologe

Flexibler Planen

Bevor wir uns in eine Situation begeben, in der absehbar ist, dass wir warten müssen, könnten wir unsere Zeit entsprechend planen, sagt der Soziologe Andreas Göttlich. Das könnte uns zumindest auch das Gefühl geben, dass wir immer noch eine gewisse Kontrolle über die Situation haben.

Je nachdem, wie eng unser Tagesablauf getaktet ist, könnten wir zeitliche Puffer einbauen und unsere Zeit ein wenig flexibler einteilen, rät er. Dann würden wir bei nachfolgenden Termin wahrscheinlich auch weniger in Stress geraten und geduldiger reagieren.

Ausfallpläne parat haben

Auch Ausfallpläne zu haben, kann helfen, den Wartestress zu reduzieren, sagt der Soziologe. Wenn wir also feststellen, dass viele Menschen vor dem Supermarkt anstehen, könnten wir auch einfach entscheiden, zu einem späteren Zeitpunkt wiederzukommen. Denn möglicherweise müssen wir dann gar nicht mehr anstehen, weil viel weniger Leute einkaufen wollen.

Perspektive wechseln

Sich für einen Moment zu überlegen, wie es wohl dem Kassierer oder der Kassiererin geht, wenn wir an der Supermarktkasse in einer langen Schlange stehen oder sich anzuschauen, wie viele Leute hinter uns noch anstehen, hilft möglicherweise darüber hinweg, sich in den eigenen Stress über das Warten hineinzusteigern.

Wartezeit effizienter nutzen zu können, hängt von der Wartedauer und dem Ort ab

Wie lange wird die Wartezeit andauern, müssen wir stehen oder können wir auch sitzen? Wer vorher weiß, dass er einen Stuhl zur Verfügung hat und mindestens 20 bis 30 Minuten warten muss, kann in dieser Zeit viel erledigen, aber manches geht auch im Stehen: anstehende Termine in den Smartphone-Kalender eintragen, einen Podcast oder Radio hören, ein Buch lesen, E-Mails schreiben oder eine Quiz-App auf dem Handy nutzen.

Nicht immer eignet sich der Ort, an dem wir warten, zum Beispiel für ein Telefonat mit der besten Freundin oder dem Kumpel, in dem wir über private Dinge sprechen wollen. Vor allem nicht, wenn an der Bahnhaltestelle oder der Schlange vor dem Supermarkt zu viele Leute mithören können.

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Shownotes
Soziologie
Gelassener warten
vom 11. April 2021
Moderatorin: 
Jenni Gärtner
Gesprächspartner: 
Andreas Göttlich, Soziologe an der Uni Konstanz