30 Tage Feuerpause. Ab sofort. Beschlossen vom UN-Sicherheitsrat mit ausdrücklicher Zustimmung Russlands. Das wurde als Durchbruch für Syrien gefeiert. Das Problem: In Syrien war davon nichts zu spüren, es wurde weiter gekämpft, weiter gebombt und weiter getötet. Seit dem 27. Februar 2018 um 8:00 Uhr (GMT) melden die Nachrichtenagenturen, dass immerhin eine mehrstündige Feuerpause in der Region Ost-Ghouta begonnen hat. Verordnet von Russland für fünf Stunden.
Kristin Helberg war sieben Jahre lang als Journalistin in Damaskus und hat von dort aus über Syrien berichtet. Das Dramatische an der Situation in Syrien ist für sie die Entwicklung von einem friedlichen Aufstand gegen das Assad-Regime hin zu einem Krieg, in den sich zuerst viele regionale Mächte eingemischt haben. Dann kamen internationale Mächte hinzu wie Russland, der Iran, die Türkei, die USA.
"Inzwischen ist es so wichtig geworden, was die ausländischen Mächte wollen, nämlich ihre Interessen durchsetzen, dass die syrischen Akteure gar nicht mehr so eine große Rolle spielen."
Für Kristin Helberg heißt das: Die Staaten, die jetzt für Waffenruhe und für Deeskalation sorgen sollten, haben gar nicht so viel Interesse daran. Zumindest nicht, solange sie nicht ihre eigenen Interessen durchgesetzt haben. So will die Türkei zum Beispiel im Norden die Kurdenmiliz YPG angreifen und sorgt deshalb nicht für Deeskalation, erklärt Kristin Helberg.
Russland möchte Assad dazu verhelfen, das Gebiet Ost-Ghouta vor den Toren von Damaskus endlich einzunehmen. Nach Einschätzung von Kristin Helberg müsse Russland das jetzt auch durchziehen, nach allem, was dort investiert worden sei. Und das führe dazu, dass es zwar grade eine UN-Resolution gebe, die sei aber unwirksam:
"Jeder darf sowieso die Terrorgruppen bekämpfen, die er dafür hält. Und jeder hat in Syrien seine persönlichen Terroristen."
Wie wichtig die Waffenruhe ist, zeigen die Berichte, die Kristin Helberg in den vergangenen Wochen vor allem von Ärzten erreicht haben. Denn diese wollten gar kein Verbandsmaterial oder Blutkonserven mehr. Die Ärzte möchten vor allem, dass die Bombardierung endlich gestoppt wird, weil sie nicht mehr wüssten, wohin mit den ganzen Verletzten.
"Wir haben Augenzeugenberichte von Ärzte ohne Grenzen, die sagen, sie können gar keine Verletzten mehr irgendwo hin bringen, weil der Krankenwagen sofort bombardiert wird."
Die mehrstündige Waffenruhe am Tag könnte wenigstens dazu führen, dass jetzt vor allem die Zivilbevölkerung versorgt werden kann. Denn die Menschen in der Region sind seit Herbst 2013 abgeriegelt. Auch vorher ging es ihnen dort schon schlecht, sagt Kristin Helberg. Jetzt sei es wichtig, dass dort endlich mal wieder in größerem Ausmaß humanitäre Hilfslieferungen ankämen.
Kollektivbestrafung der Zivilbevölkerung
Der Wunsch des UN-Menschenrechtsrats, die Katastrophe von Aleppo möge sich in Ost-Ghouta nicht noch mal wiederholen, ist vor diesem Hintergrund ziemlich unrealistisch. Denn die Katastrophe von Aleppo, sagt Kristin Helberg, wiederhole sich dort schon seit Wochen. Und es sei insofern schlimmer, als dass das Gebiet schon länger abgeriegelt sei. Zudem sei die Versorgung wesentlich schwieriger, weil Ost-Ghouta mitten in Syrien liegt.
"Das frustrierende an Ost-Ghouta ist, dass die UN-Vertreter im Zentrum von Damaskus sitzen, das ist zehn Kilometer weit weg, mit vollen Vorratslagern, die sie sofort dorthin bringen könnten."
Theoretisch gäbe es sogar die Möglichkeit für die UN-Vertreter, den Menschen in Ost-Ghouta zu helfen. Weil aber dort eben Assad diktiert und dieser entscheide, wem geholfen werde und wem nicht, sei diese Hilfe letzten Endes nicht möglich, erklärt Kristin Helberg. Der Auftrag der Vereinten Nationen sei es aber, nach Bedürftigkeit zu verteilen also zu entscheiden, wer braucht die Hilfe gerade am nötigsten.
Damit wirklich etwas passiert in Syrien, fordert Kristin Helberg ein vehementeres Auftreten der UN. Ihrer Meinung nach haben Institutionen wie der UN-Sicherheitsrat bisher versagt. Wirksam wäre nur, die Hilfen der UN an das Assad-Regime an Bedingungen zu knüpfen. Denn auch die Menschen unter Assad würden aktuell von der UN mit Kleidung und Nahrungsmitteln versorgt.
"Ich möchte noch mal betonen, dass das kein Krieg gegen Terroristen ist. Das sind Fassbomben, die fallen auf Wohngebiete und das sind gezielte Angriffe auf Krankenhäuser, auf Schulen, auf Marktplätze."
Auch wenn in der Nähe von Ost-Ghouta IS-Milizen säßen, so ist sich Kristin Helberg sicher, dass es sich vor allem um einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung handele. Die Methode sei schon in den 80er Jahren unter dem Vater von Assad angewendet worden. Auch damals wurde die Zivilbevölkerung kollektiv dafür bestraft, die Macht Assads in Frage zu stellen.
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