Wir gehen in den Bioladen, wir achten darauf, wo unsere Klamotten herkommen – aber warum kaufen wir ohne schlechtes Gewissen billige Flüge, bei denen klar ist, dass die Mitarbeiter nicht angemessen entlohnt werden können? Unser Reporter Pascal Fischer hat sich damit beschäftigt, warum wir in moralischen Fragen immer so widersprüchlich handeln.

Zum zweiten Mal bestreiken in diesem Jahr die deutschen Piloten den deutschen Billigflieger Ryanair. Dieses Mal machen auch die Flugbegleiter mit – von Mittwochmorgen (12.09.) bis Donnerstag in den frühen Morgenstunden. Das Ziel: Bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter. Sollte der Streik länger dauern, so gefährde er das Geschäft in Deutschland, warnte das Management. Die Gewerkschaften haben diese Aussage als Drohung aufgefasst, nach dem Motto, wer sein Grundrecht auf Streik wahrnimmt, der verliert vielleicht demnächst seinen Arbeitsplatz.

Kognitive Dissonanz - so der Fachbegriff

Was machen wir nun mit dieser ganzen Geschichte? Vielleicht entscheiden wir uns endgültig nicht mehr zu fliegen – ist ja eh schlecht für unsere CO2-Bilanz. Oder wir sagen uns, mein Anteil an der Klimarettung ist eh so gering und der Spaß im Urlaub ist groß – also sei es drum. Letztere Entscheidung fällt unter den Begriff "kognitive Dissonanz". Das bezeichnet den Moment, wenn wir erkennen, dass unser Verhalten nicht mit unseren moralischen Grundsätzen übereinstimmt. Der Neurowissenschaftler Henning Beck erklärt, dass es uns einfach schwerfällt, von bereits festgelegten Entscheidungen abzuweichen.

"Wenn wir sie festgelegt haben, dann wird es in der Regel sehr schwer. Weil unser Gehirn dann erst einmal nach Bestätigungen dafür sucht, warum unsere Entscheidung möglichst gut war."
Henning Beck, Neurowissenschaftler

Wir suchen also nach Möglichkeiten, um unsere Entscheidung zu rechtfertigen. Argumente, die uns darin bestärken, dass eine Entscheidung richtig war – auch wenn sie mit unserer moralischen Grundeinstellung irgendwie nicht zusammenpasst. Zum Beispiel: "Das ist jetzt nur ein Flug." Oder: "jetzt bin ich jung, später, wenn ich alt bin, werde ich nicht mehr so viel fliegen." Oder: "Ein einzelner Kunde ist nicht für schlechte Arbeitsbedingungen verantwortlich."

Wenn wir eine Entscheidung treffen – auch wenn wir sie uns schönreden – fühlen wir uns jedenfalls besser. Das zumindest belegen verschiedene Studien. Menschen, die schnelle Entscheidungen treffen – unabhängig davon, wie intelligent sie sind – sind glücklicher als Menschen, die lange hadern und mit einer Entscheidung ringen.

Entscheidungen bleiben meist ohne Konsequenzen

Ein weiteres Problem in Bezug auf Entscheidungen, die moralisch falsch sind, entsteht, wenn es am Ende egal ist, wenn wir keine Sanktionen oder persönliche Einschränkungen zu befürchten haben. Das bestätigt Simon Schindler, Sozialpsychologe an der Universität Kassel: "Das heißt, keiner wird zu mir hinkommen und sagen: 'Das geht jetzt so gar nicht, mit dem Billigflieger zu fliegen, denken Sie doch mal an die Umwelt!' Das werden vereinzelt Leute sagen. Aber die Norm, dass es mir wehtut, das ist noch nicht so weit."

"Wir sind generell sehr anfällig für Einzelbeispiele, deshalb ist es schwierig, mit Statistik und Wissenschaft zu argumentieren."
Simon Schindler, Sozialpsychologe an der Uni Kassel

Simon Schindler sagt auch, dass wir generell eher anfällig für Einzelbeispiele sind. Wir würden unsere moralischen Entscheidungen eher überdenken, wenn wir zum Beispiel jemanden kennen, der als Flugbegleiter oder als Pilotin für Ryanair arbeitet und uns persönlich von den schlechten Arbeitsbedingungen berichtet hat. 

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Shownotes
Billigflüge
Wie wir unser Gewissen überlisten
vom 12. September 2018
Gesprächspartner: 
Pascal Fischer, Deutschlandfunk Nova
Moderator: 
Ralph Günther