Staudämme, Wehre und Schleusen: Sie sollen Flüsse nützlich für uns machen. Das Problem: Sie riegeln das Gewässersystem ab, Fische können sich nicht mehr frei bewegen. André Niemann, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft, erklärt, wie es dazu kommen konnte – und welche Lösungen realistisch sind.

Flüsse in Deutschland und Europa werden auf viele Arten und Weisen genutzt: zum Beispiel für Trinkwasser, um Energie zu gewinnen oder für die Schifffahrt. Um das möglich zu machen, greifen wir immer wieder in den natürlichen Flusslauf ein.

Laut einer Studie von Dam Removal Europe, sind aktuell nur rund 40 Prozent der Flüsse in Europa in einem guten Zustand. In der Studie wird daher der Rückbau von mehreren Tausend Staudämmen und anderen Barrieren gefordert, damit sich dieser Zustand verbessert. 

Wir haben mit André Niemann, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen darüber gesprochen, wie es zu solchen Zahlen kommt, was unsere intensive Nutzung damit zu tun hat und was getan werden kann. Er sagt: In Deutschland sind nur rund acht Prozent der Flüsse in einem guten Zustand. 

Massiver Verlust an Gewässerraum

Es gibt einen massiven Verlust an Gewässerraum, bestätigt André Niemann. Flüsse würden auf vielfältige Art und Weise genutzt: Felder oder Gebäude rücken direkt an die Ufer. Wir leiten Abwasser in die Flüsse. Die chemisch-physikalischen Bedingungen haben sich daher verändert, ebenso die Wasserqualität.

"Wir haben durch die entsprechende Nutzungsanforderung einfach einen massiven Verlust an Gewässerraum."
André Niemann, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen

Problematisch sei das zum Beispiel bei hohen Temperaturen im Sommer. Neben der erhöhten Außentemperatur sorgen warme Abwasser aus Kraftwerken für noch höhere Temperaturen in den Flüssen – und das kann schädlich für Fische werden. 

Bei Messungen wird heute von den Bedingungen ausgegangen, die im jeweiligen Gewässer herrschen würden, wenn der Mensch nicht eingegriffen hätte. Anhand der drei Komponenten Pflanzen, Fischfauna und Kleinlebewesen werde abgeglichen, wie natürlich die Biodiversität im jeweiligen Fluss vorhanden ist, erklärt André Niemann. 

Staudämme, Wehre und Schleusen als Hindernisse für Biodiversität

"Das, was da entstanden ist, das was den Gewässerzustand heute widerspiegelt, das ist ja nicht über Nacht entstanden – sondern wirklich über den gesamten Zeitraum der Industrialisierung bis heute."
André Niemann, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen

Staudämme, Wehre und Schleusen sind Bauten, die Biodiversität und damit Qualität der Flüsse beeinflussen. Sie wurden oft aus wirtschaftlichen Gründen gebaut, etwa um besser Güter transportieren zu können. André Niemann sagt, dass es in Deutschland rund 200.000 dieser Querbauwerke von unterschiedlicher Größe gibt, die grob seit Beginn der Industrialisierung gebaut worden sind.

"Staudämme, Wehre und Schleusen sind auf jeden Fall massive Hindernisse für Biodiversität im Gewässer."
André Niemann, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen

Der große Nachteil der Querbauwerke: Sie riegeln das Gewässersystem ab, es wird fragmentiert und Lebewesen können sich nicht mehr frei bewegen. Daher sind die Bauten massive Hindernisse für die Biodiversität der Gewässer. Eine wichtige Erkenntnis in diesem Zusammenhang: Flüsse brauchen Raum – auch im Hinblick auf den Hochwasserschutz, so André Zimmermann.

"Flüsse brauchen Raum. Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis, das sehen wir vor allen Dingen auch schon beim Hochwasserschutz."
André Niemann, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen

Rückbau ist nicht immer möglich

Durch die wirtschaftliche Entwicklung werden einige Staudämme, Wehre oder Schleusen heute nicht mehr gebraucht. Im besten Fall sollten sie entfernt werden, wo es geht, sagt André Niemann. Das ist aber nicht mehr überall möglich. Manchmal wurden Häuser auf Land gebaut, das ohne Schleusen überschwemmt werden würde, manchmal gibt es die Eigentumslage nicht her. In Fällen wie diesen sollen Ersatzsysteme für die Ökologie geschaffen werden. Das ist die Aufgabe der Wasserwirtschaft, von Ingenieuren und Ökologen.

"Das sind alles Eingriffe, die zu solchen Bauwerken geführt haben in der Vergangenheit. Heute sind sie da und werden oftmals nicht gebraucht. Aber teilweise können wir sie auch nicht mehr zurückbauen, weil wir einfach drum herum weitergebaut haben."
André Niemann, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen

Bei rund 200.000 Querbauwerken ist es schwierig, den Originalzustand wiederherzustellen oder zu verbessern. Die Bauten müssen einzeln geprüft und zum Teil individuelle Lösungen gefunden werden. Eine Aufgabe für mehrere Generationen, so André Niemann. Es sei auch schon einiges unternommen worden: In den 70er Jahren war der Rhein wegen hoher Verschmutzung tot. Seitdem sei viel für den Umweltschutz getan worden.  

"Es hat hundert Jahre gedauert, die Gewässer in einen solchen Zustand zu bringen und es wird sicherlich auch ähnliche Zeiträume brauchen, bis man das alles wieder kompensiert hat. Wenn man das überhaupt kompensieren kann."
André Niemann, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen

In der Praxis gehen die Bundesländer das Thema unterschiedlich intensiv an, sagt André Niemann. International gebe es immer wieder Projekte, um bestimmte Flusssysteme durchgängig zu machen – eine vielfältige und dezentrale Aufgabe. Und genau hier sieht André Niemann einen wichtigen Punkt für zukünftige Projekte: Der Maßstab müsse der Blick auf das Gesamtsystem sein.

"Das ist der beste Maßstab, wie ich finde, dass man sich ein Gesamtsystem anschaut und sagt, wie kriege ich das jetzt in der Durchgängigkeit, was die Querbauwerke angeht, wirklich schön ökologisch durchlässig."
André Niemann, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen

Mehr zum Thema:

Shownotes
Staudämme, Wehre und Schleusen
Flüsse brauchen Platz
vom 29. Juli 2018
Moderatorin: 
Jenni Gärtner
Gesprächspartner: 
André Niemann, Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen